Los 208 * #
Horae B. M. V. ad usum Romanum, Brügge
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unverkauft
Auktionsablauf:
14.11.2017 Sitzungsbeginn 11:15 Uhr
Aus dem Besitz von Sir Sidney Cockerell
Horae B. M. V. Lateinisches Stundenbuch für den Gebrauch von Rom. Handschrift auf Pergament. Brügge, Umkreis des Willem Vrelant, um 1470-80. Blattgröße 9,8:7 cm, Schriftspiegel 6:4,2 cm. 17 Zeilen, dünn rot regliert. Textura in schwarzbrauner und roter Tinte, Versalien blassgelb schattiert. Mit 11 (von ursprünglich 14) ganzseitigen Miniaturen in Gold und Farben, jeweils eingefasst von vierseitiger Bordüre aus Dornblatt, Blüten, Früchten und Akanthus, die gegenüberliegenden Textseiten jeweils mit großer Goldgrund-Initiale und ebensolcher Bordüre, dazu drei weitere Schmuckseiten mit Goldgrund-Initiale und Bordüre, sowie 13 Bildinitialen mit zweiseitiger Zierleiste und dreiseitiger Bordüre. Im Text eine dreizeilige Initiale mit ausstrahlendem Dornblattrankwerk in Gold und Farben sowie zahlreiche zweizeilige Initialen in Blau, Mauve, Gold und Deckweiß, durchgehend einzeilige Initialen, alternierend in Gold oder Blau mit schwarzem bzw. rotem Fleuronnée. 173 (statt 176) nn. Bll. (die beiden letzten mit einem Nachtrag des 16. Jahrhunderts). Olivgrüner Maroquinband des späten 17. oder frühen 18. Jahrhunderts mit goldgeprägten Deckelbordüren, Rücken- und Stehkantenvergoldung sowie dreiseitigem Goldschnitt, in mod. Maroquinkassette.
Morgand & Fatout, Catalogue des livres manuscrits et imprimés, anciens et modernes, composant la collection de feu M. Rouard (Paris 1879), Nr. 40; C. de Hamel, Medieval and Renaissance manuscripts from the library of Sir Sydney Cockerell (in: British Library Journal, 13, 1987, S. 186-210), S. 196, Nr. 11; E. König, Leuchtendes Mittelalter III (Tenschert Kat. XXVII, 1991), Nr. 6; vgl. G. Swarzenski & R. Schilling, Die illuminierten Handschriften und Einzelminiaturen des Mittelalters und der Renaissance in Frankfurter Besitz (Frankfurt 1929), Nr. 143 u. Taf. LXIV. - Ungewöhnlich kleinformatiges Stundenbuch von hoher künstlerischer Qualität und aus hervorragender Provenienz. Die Liturgie folgt dem Gebrauch von Rom und engt daher die Verwendung des Stundenbuchs nicht ein, die Heiligenauswahl des Kalenders ist jedoch für den Gent-Brügger Raum charakteristisch, in Rot hervorgehoben sind u.a. Amandus (6. Februar), Bavo (1. Oktober, vor Remigius), Donatian (14.Oktober) sowie Eligius von Noyon (1. Dezember). Der Codex wurde durchweg von einer Hand illuminiert, wobei große stilistische Ähnlichkeiten zu Handschriften aus der Werkstatt bzw. dem Umkreis des Willem Vrelant in Brügge bestehen. Vrelant wurde in Utrecht geboren und ist seit 1454 in Brügge nachweisbar, wo er 1481 starb.
Inhalt: Kalender, nur sporadisch besetzt (fol. 1-12), Heilig-Kreuz-Stunden (fol. 14-18), Heilig-Geist-Stunden (fol. 19-24), Marienmesse und Evangelienlesungen (25-34), Marienoffizium nach dem Gebrauch von Rom (fol. 35-102), Bußpsalmen mit Litanei (fol. 103-121), Totenoffizium (fol. 122-158), Mariengebete, das Obsecro te für einen männlichen Beter eingerichtet (fol. 159-163), Heiligensuffragien (164-171), Nachtrag in einer Kursive des des 16. Jahrhunderts: Psalm 90 (91) in katalanischer Übersetzung ("[Q]ui abita en lo adjutori del altisme en la proteccio del deu", fol. 172-173). Auffällig ist die in der Litanei enthaltene Sondergruppe für Mönche und Eremiten, eröffnet durch Franz von Assisi. Auch im Kalender und in den Heiligensuffragien sind sowohl Franz als auch Klara enthalten, so dass sich eine besondere Nähe des ursprünglichen Besitzers zum Franziskanerorden vermuten lässt.
Miniaturen und Illumination: Die blattgroßen Miniaturen befinden sich, wie in Flandern üblich, auf eingeschalteten, rückseitig leeren Blättern. Das Bildprogramm entspricht überwiegend der in Brügge gebräuchlichen Tradition, ikonographisch äußerst ungewöhnlich ist allerdings die Darstellung der Verkündigung an Maria in Verbindung mit der Wurzel Jesse zu Beginn der Matutin. Die Bildfolge: 1. Ausgießung des Heilgen Geistes zu Pfingsten (fol. 19), 2. Thronende Maria mit Kind (fol. 25), 3. Verkündigung an Maria und Wurzel Jesse (fol. 35), 4. Heimsuchung (fol. 52), 5. Geburt Christi (fol. 62), 6. Verkündigung an die Hirten (fol. 68), 7. Anbetung der Könige (fol. 73), 8. Darbringung im Tempel (fol. 78), 9. Flucht nach Ägypten (fol. 89v), 10. Marienkrönung (fol. 95), 11. Auferweckung des Lazarus (fol. 122). Die abschließenden Gebete sind mit Bildinitialen (je ca. 2,5:3 cm) geschmückt: 1. Beweinung Christi (fol. 159), 2. Kampf des Erzengels Michael gegen den Teufel (fol. 164), 3. Johannes der Täufer (fol. 164v), 4. Petrus und Paulus (fol. 165), 5. Jakobus (fol. 165v), 6. Stigmatisation des Franz von Assisi (fol. 166v), 7. Antonius von Padua (fol. 167), 8. Martyrium des Sebastian (fol. 167v), 9. Christopherus (fol. 168), 10. Anna selbdritt (fol. 169), 11. Klara im Ordenshabit der Klarissen (fol. 169v), 12. Katharina mit Schwert und zerbochenem Rad (fol. 170), 13. Barbara mit Märtyrerpalme (fol. 170v). Die aus Akanthus, Blütenzweigen und einem dichten System von Punkten gebildeten Bordüren sind vielfach mit zwei oder mehr roten Früchten (Erdbeeren) besetzt. Auch der gesamte sekundäre Buchschmuck entspricht in Stil und Qualität der Vrelant-Gruppe. Besonders nahe stehen unserer Handschrift, wie bereits einer ihrer berühmten Vorbesitzer, der große britische Bibliophile und Museumsdirektor Sir Sidney Cockerell festgestellt hat, zwei Codices aus der Sammlung Alfred Huth (Auktion Huth 1913, Nr. 3809 u. 3818) und insbesondere ein ebenso kleinformatiges Stundenbuch aus der Sammlung Wilhelm Peter Metzler (Frankfurt, Museum Angewandte Kunst, LM 34; vgl. Swarzenski/Schilling a.a.O.), die alle heute entweder unmittelbar Willem Vrelant oder aber seinem Umkreis zugeschrieben werden. Deutliche Ähnlichkeiten bestehen auch zu einer Handschrift in der British Library (Stowe Ms. 26) und einem ähnlich kleinformatigem Stundenbuch wie dem unsrigen, das heute in Baltimore aufbewahrt wird (Walters Ms. W.181), die beide um 1460-70 datiert und ebenfalls der Vrelant-Schule zugeordnet werden.
Kollation und Zustand: Der Codex besteht aus 173 Blatt Pergament, gebunden überwiegend in Lagen zu 8 Blatt, die Miniaturen auf eingeschalteten Blättern; zu Beginn 2 zusätzliche moderne Pergamentblätter eingebunden. Vereinzelt leicht gebräunt oder fleckig, erste 2 u. letzte 3-4 Bll. in den Rändern stärker gebräunt, fol. 96/97 mit Braunfleck, einige Minaturen etwas berieben u. verschmutzt, die Bordüren teilw. mit leichten Verwischungen, einige außen leicht angeschnitten. Es fehlen die Miniaturen zu Beginn des Kreuzoffiziums, der Vesper und der Bußpsalmen (wohl Kreuzigung, Bethlehemitischer Kindermord und König David), die 3 Bll. wurden offenbar bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts entfernt. Insgesamt wohlerhalten.
Provenienz: 1. Étienne-Antoine-Benoît Brouard (Archäologe und Bibliothekar in Aix-en-Provence; 1792-1873), mit seinem Namenszug und Kaufvermerk (dat. "Marseille, Aix, 14. xbre. 1835") auf dem vorderen freien Vorsatzblatt. "Il acquit ses principaux manuscrits de la famille Martin, de Marseille, qui avait acheté, en 1837, les fonds de M. de Nicolai, d'Arles" (E. Picot im Kat. von Morgand & Fatout, S. XII). Brouards Bibliothek wurde 1879 in Paris versteigert, in der Katalogbeschreibung werden noch 14 große Miniaturen angezeigt. - 2. Sir Sydney Carlyle Cockerell (Museumskurator und Sammler, Direktor des Fitzwilliam Museum in Cambridge; 1867-1962), mit seinen eigenhändigen Einträgen auf den Vorsätzen, ein längerer Eintrag hinten zu den oben genannten stilverwandten Handschriften. - 3. A. E. Tuke, Juni 1939, von Mrs. A. W. Tuke bei Sotheby's am 9. Dez. 1963, Nr. 138, versteigert. - 4. Maggs, London (vgl. De Hamel a.a.O.). - 5. Carlo de Poortere (belgischer Sammler und Bibliophiler; 1917-2002), sein Exlibris auf dem Innendeckel, auf dem hinteren Vorsatz der Bleistifteintrag "Sir Sidney Cockerell D 3". - 6. Antiquariat Tenschert (s.o.). - 7. Europäischer Privatbesitz.
Book of Hours, use of Rome, in Latin. Illuminated manuscript on vellum. Bruges, circle of Willem Vrelant, c. 1470-80. With 11 (of 14) full-page miniatures with full borders, the facing pages with full borders and large foliate initials in colours on a gold ground, plus 3 other pages with full borders and foliate initials, and 13 large historiated initials with a three-sided border, as well as 1 three-line and hundreds of two-linie initials in colours and gold and small initials in blue on red penwork or in gold on purple penwork grounds. 173 leaves, written in dark brown ink in a fine regular gothic bookhand, headings in red. A charming little manuscript with miniatures of fine quality and with an important provenance: Etienne Antoine Brouard (archaeologist and librarian at Aix-en-Provence, 1792-1873) with his signature, Sir Sydney Cockerell, with notes in his hand on the fly-leaves, Carlo de Poortere, with his bookplate. - Minor browning or spotting in places, marginal browning affecting first 2 and final 3-4 leaves, brownish stains affecting ll. 96/97, some miniatures rubbed and a bit soiled, slight smudging affecting a few borders, some borders just touched by the binder. Lacking 3 miniatures (removed presumably in the late 19th century). French late 17th or early 18th-century olive morocco, gilt border and spine, gilt edges.